Eine waidgerechte Jagd beginnt mit dem Verständnis, wie Wildtiere mit ihrem Lebensraum interagieren. Wildökologie beschreibt die Beziehungen zwischen Wild, Lebensraum und den Menschen. Wer Lebensräume lesen kann, trifft bessere Entscheidungen – von der Biotophege bis zum Abschussplan.
Die Wildökologie ist ein Spezialgebiet der Ökologie, die sich mit jagdbaren und auch nicht jagdbaren, frei lebenden Tieren befasst. Sie bildet die wissenschaftliche Grundlage für alle jagdlichen Entscheidungen. Sie erklärt, warum Wildtiere wo leben, wie sie sich verhalten und wie menschliche Eingriffe wirken. Als Jäger musst du diese Zusammenhänge verstehen, um waidgerecht zu handeln und erfolgreich zu hegen.
Die zentrale These: Ökologisches Wissen macht aus Regeln waidgerechtes Handeln.
- Tierschutz: Sichere Schüsse, Schonzeiten begründet einhalten, Stress vermeiden
- Artenschutz: Populationsdynamik verstehen → angepasste Abschussplanung
- Lebensraum: Habitatansprüche kennen → Biotophege gezielt umsetzen
- Nahrungsnetze: Eingriffe wirken kettenartig – Prädatoren
/Beute mitdenken - Kommunikation: Entscheidungen gegenüber Wald, Feld und Öffentlichkeit begründen
Moderne Jagdziele:
- Oberstes Ziel: Einen artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten
- Interessenausgleich: Rücksichtnahme auf die Interessen der Land- und Forstwirtschaft
- Naturschutz: Artenvielfalt fördern und Lebensraum schützen
In einem intakten Naturraum halten sich Wildpopulationen durch natürliche Regelmechanismen selbst im Gleichgewicht. Dazu zählen vor allem:
- Räuber-Beute-Beziehungen
- Innerartliche Konkurrenz
- Zwischenartliche Konkurrenz
Durch das Eingreifen des Menschen und die Entstehung der Kulturlandschaft funktionieren diese Mechanismen jedoch nur noch eingeschränkt. Der Grund dafür ist, dass die Ziele des Menschen – wie Erträge in der Landwirtschaft und Forstwirtschaft – oft nicht mit den Kreisläufen der Natur übereinstimmen:
- Fehlen von großen Beutegreifern: Große Prädatoren wie Wolf oder Bär, die Schalenwildbestände regulieren könnten, fehlen in weiten Teilen des Landes.
- Fragmentierte Lebensräume: Straßen und Siedlungen zerschneiden Wanderrouten und verhindern den natürlichen Austausch.
- Intensive Land- und Forstwirtschaft: Monokulturen und der Verlust von Strukturen verändern Nahrungsnetze und Konkurrenzverhältnisse.
Diese Störungen führen dazu, dass der Jäger als "Ersatz-Prädator" in das System eingreift, um das ökologische Gleichgewicht zu erhalten und Wildschäden zu vermeiden.
Modernes Jagdverständnis bedeutet Flexibilität:
- Wildschutz-Gesicht:
- Erhaltung und Förderung bedrohter Arten
- Lebensraumpflege für gefährdete Populationen
- Schutz vor Störungen und Lebensraumverlust
- Wildnutzung-Gesicht:
- Regulierung überhöhter Bestände
- Nachhaltige Nutzung des Zuwachses
- Wildschadensprävention
Je nach Art, Situation und Lebensraum wechelst du zwischen:
- Schützer (z.B. bei Auerwild, Alpenschneehasen)
- Regulator (z.B. bei Rehwild oder Schwarzwild)
In der Praxis werden die Begriffe Biotop und Habitat oft synonym verwendet (Biotop = Habitat = Lebensraum). Für die jagdliche Kommunikation gilt:
Stadt-Analogie für Habitat und Biotop
- Biotop = "Stadt" (z.B. strukturreicher Mischwald)
- Habitat = "Stadtviertel" einer Art innerhalb dieser Stadt
- Schwarzspecht: Habitat in alten, dicken Buchen mit Höhlenpotenzial
- Rehwild: Habitat im deckungsreichen Unterwuchs und an Waldrändern
Jede Wildart stellt spezifische Anforderungen an ihren Lebensraum:
- Einstand: Ort, an dem sich Wild bevorzugt aufhält. Es wird zwischen Sommer- und Wintereinstand unterschieden.
- Wohnraumeinstand: Bereiche, die das vertraute Wild bei gutem Wetter als Aufenthaltsort wählt.
- Beispiel: Lichte Waldränder für Rehwild
- Deckungseinstand: Bereiche, die gezielt bei Störungen oder widrigen Witterungsbedingungen aufgesucht werden.
- Beispiel: Dichte Fichtendickungen im Winter
- Folgen von Störungen:
- Energieverlust: Jede Flucht kostet das 5–10‑fache des Normalverbrauchs
- Zeitverlust: Aufbau von Energiereserven dauert Wochen
- Habitatmeidung: Optimale Äsungsflächen werden dauerhaft gemieden
- Störungsquellen:
- Freizeitaktivitäten (Wanderer, Mountainbiker, freilaufende Hunde)
- Intensive Forst- und Landwirtschaft
- Klimawandel treibt mehr Menschen in die Wälder
- Streifgebiet (Aktionsraum): Gesamtes Gebiet der normalen Lebensaktivitäten
- Wird nicht gegen Artgenossen verteidigt
- Kann sich stark mit anderen Streifgebieten überschneiden
- Territorium (Revier): Kernzone des Streifgebiets
- Wird exklusiv besetzt und aktiv verteidigt
- Sichert Zugang zu wichtigen Ressourcen
Die Tragfähigkeit beschreibt, wie viele Wildtiere ein Lebensraum „aushalten“ kann – entweder aus ökologischer oder wirtschaftlicher Sicht.
- Ökologisch-biologische Tragfähigkeit:
- Maximale Populationsgröße, die durch Nahrung, Deckung und Lebensraum möglich ist
- Gleichgewicht: Geburtenrate = Sterberate
- Langfristig ohne Schädigung des Lebensraums
- Wirtschaftlich-tolerierte Tragfähigkeit (Tragbare Wildichte):
- Höchste Wilddichte, die Land- und Forstwirtschaft noch akzeptieren
- Abhängig von Schadensschwellen (Verbiss, Schälschäden, Ernteschäden)
- Sozioökonomisch, nicht biologisch bestimmt
- Schalenwild: Ökologische Tragfähigkeit > Wirtschaftlich tolerierte → Jagd reguliert Bestände
- Niederwild: Ökologische Tragfähigkeit < Wirtschaftlich tolerierte → Lebensraumverbesserung wichtig
Durch gezielte Strukturelemente kannst du die ökologische Tragfähigkeit des Lebensraums verbessern:
Tragfähigkeit schwankt je nach Jahreszeit, Bewirtschaftung und Klima – deshalb müssen Abschussplanung und Hegemaßnahmen flexibel angepasst werden.
- Jahreszeit:
- Winter: Geringere Tragfähigkeit durch Nahrungsmangel und Energiebedarf
- Sommer: Höhere Tragfähigkeit durch reichliches Nahrungsangebot
- Forstliche Maßnahmen:
- Kahlschläge: Kurzfristig mehr Äsung, langfristig weniger Deckung
- Durchforstungen: Verbesserte Bodenvegetation
- Neuaufforstung: Langfristige Lebensraumveränderung
- Landwirtschaftliche Einflüsse:
- Flurbereinigung: Strukturverlust, geringere Tragfähigkeit
- Monokulturen: Einseitige Nahrung, saisonale Schwankungen
- Extensive Bewirtschaftung: Strukturreichtum, höhere Tragfähigkeit
- Klimaschwankungen:
- Trockenjahre: Schlechtere Äsung, geringere Tragfähigkeit
- Milde Winter: Geringere Verluste, höhere Überlebensrate
- Extremwetter: Kurzfristige starke Einbrüche
Um Hegemaßnahmen gezielt zu planen, solltest du die Qualität deines Reviers systematisch bewerten:
Grundprinzip: Bewerte Nahrung, Deckung und Ruhe für deine Zielwildart.
- Wo sind Engpässe?
- Was limitiert den Bestand?
- Welche Maßnahmen haben Priorität?